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"Es geht um Werte, nicht ums Geschlecht"

Kita-Leiter Christian Henn ist einer von wenigen Männer in seinem Berufszweig

02.03.2022

Hiddenhausen. Als Christian Henn (36) aus seiner Bürotür tritt, muss er den Kopf einziehen. Die Kindergarderobe reicht dem 1,97-Meter-Mann gerade bis zur Hüfte. Breite Schultern und Glatze vervollständigen den Eindruck, dass der ehemalige Judoka Gegnern in seiner aktiven Zeit Respekt eingeflößt hat. Mit drei Schritten hat er den Flur im Haus eins der Kita Buchenhof durchquert, tritt durch die weißgerahmte Glastür nach draußen. „Ich weiß noch, als ich meine Bewerbung für mein Anerkennungsjahr in einer Münsteraner Kita abgegeben habe“, sagt Henn. „Das war so eine schwarze Holztür.“ Warum er das noch so vor Augen habe? „Ich glaube, weil damals etwas richtig Gutes begann.“ Christian Henn entschied sich vor mehr als 15 Jahren dafür, so etwas wie eine Ausnahme von der Regel zu werden: Henn wurde Erzieher in einer Kita.

Männliche Fachkräfte in der Kinderbetreuung in der Minderheit

Noch immer sind männliche Fachkräfte in der Kinderbetreuung deutlich in der Minderheit. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit für 2020 waren es deutschlandweit gerade einmal sieben Prozent aller Mitarbeitenden. Zwar habe sich die Zahl in den vergangenen zehn Jahren fast verdreifacht. Dennoch sucht man Exemplare wie Christian Henn eher vergebens in Kindertagesstätten. Über die Gründe kann Henn nur mutmaßen: Vielleicht seien es veraltete Rollenbilder, die immer noch nicht aus Köpfen verschwunden seien. Vielleicht sei es auch die Angst, sich mit elterlichen Vorbehalten auseinandersetzen zu müssen.

Er selbst habe solche Erfahrungen allerdings nie gemacht: „Ich habe auf meinem bisherigen Lebensweg durchweg positive Rückmeldungen bekommen.“ Nach dem Abitur zog es den gebürtigen Oldenburger nach Münster. „Ich mochte die Stadt. Beruflich wusste ich noch gar nicht so recht, wo es hingehen soll.“ Kurz vor Fristende schrieb er sich an einem Berufskolleg für die Erzieherausbildung ein. Die Ausbildungsleiterin sei zwar etwas skeptisch gewesen. „Ich hatte ein eher durchwachsenes Abi“, sagt Henn heute mit einem Augenzwinkern. „Trotzdem durfte ich anfangen.“

Beste Entscheidung

Dass die Entscheidung richtig war, stand spätestens fest, als Henn beim Abschluss zu den Klassenbesten gehörte. Er blieb in Münster, arbeitete sechs Jahre lang in der Kita St. Ludgeri – die Einrichtung mit der schwarzen Tür. „Ich habe unglaublich viel von meiner damaligen Chefin gelernt“, erklärt Henn heute. „Und durch die Zeit in Münster waren Männer in der Kita für mich etwas ganz Normales.“ Denn zwischenzeitlich seien sie dort zu dritt gewesen, sagt Henn.

2014 schloss er das Kapitel Münster als stellvertretender Kita-Leiter, zog in die ostwestfälische Heimat seiner Frau. Bei der Ev. Jugendhilfe Schweicheln arbeitete er zunächst in einer Tagesgruppe in Bünde. „Ich wollte meinen Fokus nochmal erweitern, einen anderen Einblick bekommen“, erklärt Henn. Deshalb habe er nebenberuflich auch noch ein Bachelor-Studium in Bildungswissenschaften abgelegt. 2018 übernahm er dann die Leitung der Kita Buchenhof in Schweicheln-Bermbeck.

Welche Werte wollen wir den Kindern vermitteln?

In seiner Einrichtung ist Christian Henn der einzige männliche Mitarbeiter. „Aber ich will es nicht auf die Frage nach männlich oder weiblich reduzieren“, sagt der Pädagoge mit Nachdruck. Zumal dabei ohnehin andere geschlechtliche Identitäten ausgeblendet würden. „Es geht vielmehr um die Frage, welche Werte wir den Kindern eigentlich vermitteln.“ Ob man Lust auf Fußballspielen hat, habe nichts mit dem Geschlecht zu tun. „Sondern nur damit, ob ich Lust auf Bewegung und frische Luft habe.“

Das sei das Tolle bei der Arbeit in der Kita. „Im Gegensatz zur Grundschule zum Beispiel, müssen wir hier kein strenges Curriculum abdecken.“ Wer als Fachkraft ein bestimmtes Thema bearbeiten möchte, der finde schnell begeisterte Mitstreiter. „Kinder sind neugierig und freuen sich über Input“, sagt Henn. „Wenn wir unseren Job gut machen, dann legen wir mit ihnen gemeinsam die Basis für ein Leben voller Begeisterung für Neues und Spaß am Lernen.“

Wichtige Rolle als Bezugsperson

Mit bedächtigen Schritten erklimmt Christian Henn die Metalltreppe, die zum Eingang von Haus eins führt. Er war nur eben beim neuen Klettergerüst, das seit Kurzem auf dem Außengelände der Kita steht. In Sekundenabständen schallen ihm piepsige Stimmen entgegen. „Hallo Christian!“ oder „Guck mal, Christian!“ Alle Kinder, die Henn zum Teil nur bis zum Knie reichen, bekommen eine Antwort. „So ist das eben in der Kita“, sagt Henn lächelnd, als er die Klinke der weißgerahmten Glastür herunterdrückt und wieder den Kopf einzieht. „Wir spielen eine wichtige Rolle als Bezugspersonen im Leben der Kinder – egal, welches Geschlecht wir haben.“

Christian Henn vor dem neuen Klettergerüst der Kita Buchenhof.