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Wenn Kinder einen geschützten Ort brauchen

Ev. Jugendhilfe Schweicheln begleitet Bereitschaftspflegefamilien

Sie haben Vernachlässigung, Gewalt oder sogar Missbrauch erlebt: Wenn Kinder durch das Jugendamt in Obhut genommen werden, dann brauchen sie für eine Übergangszeit einen sicheren Lebensort. Dann können sie in einer „Familie auf Zeit“ (FaZ) der Ev. Jugendhilfe Schweicheln unterkommen.

Kreis Herford. Sabine Hausmann* (Name geändert) überlegt einen kurzen Moment. „Ich freue mich darauf, sie lächeln zu sehen“, sagt die 32-Jährige. „Auf den Moment, in dem sie merken: Hier werde ich nicht geschlagen. Hier nimmt mich jemand in den Arm.“ Sogar in dem kleinen Videoanruf-Fenster ist zu erkennen, dass sie ihre Worte mit einem zuversichtlichen Lächeln unterstreicht. Sabine Hausmann ist eine Bereitschaftspflegemutter in Vorbereitung. Gemeinsam mit ihrem gleichaltrigen Mann und zwei leiblichen Kindern will sie bald weiteren Kindern ihr Zuhause öffnen. Kindern, die nicht mehr bei ihren Eltern bleiben konnten, weil das Jugendamt die Situation als zu gefährlich einstufte.

Hausmann ist selbst mit Pflegegeschwistern aufgewachsen. „Wir stehen uns sehr nahe, ich bezeichne sie auch als meine Geschwister.“ Nachdem sie gemeinsam mit ihrem Mann die beiden leiblichen Kinder bekommen hatte, setzte sie sich intensiv mit dem Thema auseinander. „Es gibt so viele Kinder, die nicht behütet aufwachsen und in Not sind“, erklärt Hausmann. Jedes Kind sei liebenswert; egal, welches Päckchen es mitbringe.

In der Regel sechs Monate

2019 haben Jugendämter nach Angaben des Statistischen Bundesamtes etwa 45.900 Kinder und Jugendliche in Obhut genommen. In mehr als einem Drittel der Fälle war die Überforderung der Eltern der Grund, aber auch Vernachlässigung oder Anzeichen von Misshandlungen waren häufige Anlässe. Je nach Alter und persönlicher Situation des Kindes, kann es in einer Wohngruppe oder einer Bereitschaftspflegefamilie unterkommen. „In der Regel sind die Kinder, die in unsere ‚Familien auf Zeit‘ kommen, jünger als zehn Jahre“, sagt Maximiliane Plöger. Sie ist FaZ-Beraterin bei der Ev. Jugendhilfe Schweicheln und bereitet Familien wie die Hausmanns auf die Aufnahme von Pflegekindern vor.

„Viele von ihnen bringen schon eine Geschichte mit.“ Wenn Kinder zum Beispiel Gewalt ausgesetzt seien, könne das Auswirkungen auf das Verhalten in der Schule oder der Kita haben. „Manche Kinder zeigen extreme Unruhe und Nervosität, andere ziehen sich komplett zurück“, erklärt Plöger. „Die Anzeichen können ganz unterschiedlich sein.“

Ausführliche Vorbereitung

Damit die Familien gut für das Zusammenleben mit einem Pflegekind gerüstet sind, durchlaufen sie bei der Ev. Jugendhilfe Schweicheln eine ausführliche Vorbereitung: Gemeinsam mit der Fachberaterin haben Hausmanns zum Beispiel familiäre Beziehungen analysiert, Wertsysteme besprochen oder auch zu Fachthemen wie Traumapädagogik gearbeitet. Je besser die Zusammenarbeit zwischen Beraterin und Familie funktioniere, desto besser sei es für das Pflegekind, sind sich Maximiliane Plöger und Sabine Hausmann einig.

„Ich empfinde das als große Unterstützung“, sagt Hausmann. Respekt habe sie vor dem Moment, wenn ein Pflegekind die Familie wieder verlassen muss. Zwar sei von Anfang an klar, dass die Unterbringung nur für eine gewisse Zeit vorgesehen sei. „Aber im Alltag baut man natürlich eine Beziehung zueinander auf.“

So sieht es die erfahrene Pflegemutter

Wie es ist, ein Kind gehen zu lassen, das weiß Miriam Große-Schallau* (Name geändert) bereits. Gemeinsam mit ihrem Mann und vier leiblichen Kindern ist sie bereits seit 2019 eine „Familie auf Zeit“. Das erste Pflegekind war insgesamt sogar elf Monate in der Familie, in der Regel ist eine FaZ-Unterbringung nur bis zu sechs Monaten üblich. „In begründeten Fällen kann diese Zeit aber verlängert werden. Hier entscheidet oft das Gericht,“ sagt die zuständige Fachberaterin Martina Dicks der Ev. Jugendhilfe Schweicheln. In diesem Fall sei die Anschlussperspektive des Jungen lange nicht klar gewesen.

„Uns hat es geholfen, zu wissen, dass er in eine tolle Familie kommt“, erinnert sich Miriam Große-Schallau. „Unseren Kindern mussten wir es natürlich gut und verständlich erklären, warum der Junge nicht bei uns bleiben konnte.“ Schließlich hätten sie sich sehr gefreut, als die Nachricht über seine Unterbringung in der Familie gekommen sei. „Tatsächlich waren es vor allem unsere Kinder, die ihm damals bei der Eingewöhnung am meisten geholfen haben“, sagt Große-Schallau. „Sie waren so etwas wie seine Leitplanken.“ Feste Abläufe und Struktur seien es, was vielen Kurzzeitpflegekindern helfe, sagt Martina Dicks. „Von Zuhause kennen sie das meistens nicht.“

In engem Kontakt bleiben

Etwa drei bis vier Monate dauere die intensive Vorbereitung einer Familie, sagt Maximiliane Plöger. Durch Corona könne es derzeit aber etwas länger dauern. „Nicht alle Themen kann man per Videoanruf besprechen.“ Wenn ein Kind dann in der Familie untergebracht sei, halten Pflegeeltern und Beraterinnen engen Kontakt. „So können wir immer wieder gemeinsam überprüfen, wie es dem Kind geht und gegebenenfalls Veränderungen vornehmen oder Hilfestellung leisten“, erklärt Martina Dicks.

Noch wartet Sabine Hausmann auf ihr erstes Pflegekind. Natürlich werde es nicht immer einfach und mitunter auch anstrengend sein, sagt sie. So sei das Leben mit Kindern eben. „Aber sie geben einem auch so viel“, sagt die angehende Pflegemutter. „Zu sehen, wie sie sich entwickeln – auch in so einem kurzen Zeitraum.“ Das sei es allemal wert.

Familien auf Zeit gesucht

Die Ev. Jugendhilfe Schweicheln sucht weitere „Familien auf Zeit“. Wer sich vorstellen kann, einem Kind für eine Zeit einen sicheren Lebensort bieten zu können, kann sich einfach melden. Entweder unter Telefon 05221/960 213 oder per E-Mail an linkenbach-engelhardt@ejh-schweicheln.de. „Familien auf Zeit“ sind ein Teil des Bereichs „Leben in Familien“ der Ev. Jugendhilfe Schweicheln. Mehr Informationen dazu gibt es hier.

Martina Dicks (links) und Maximiliane Plöger sind Beraterinnen für Familien auf Zeit.